Nachhaltige Wohnformen: Erdenschiff, die Earthship-Idee
Die Earthship-Idee gibt es bereits seit den 70-er Jahren, sie wurde von dem Architekten Mike Reynolds in New Mexico, USA, entwickelt. Rund 1000 Häuser der Erdenschiff-Bewegung soll es heute weltweit geben, am wenigsten in Europa – in Deutschland gibt es meines Wissens noch gar keinen Ansatz; Österreich hat kürzlich begonnen, es gibt eine Netzseite, die ich bei meiner Materialsammlung auch verwendet habe.
Earthship – ins Deutsche schwer übersetzbar: Erdenschiff – meint Häuser, Wohngebäude, die mit der Erde in Einklang stehen.
Drei „Forderungen“ gehören dazu – so habe ich es gelesen* und erläutere gleich:
(1) Ausnutzung der thermalen Masse – sprich: geringstmögliche Heizenergie durch wärmedämmende und -speichernde Baustoffe;
(2) Verwendung von lokal vorhandenen (indigenen) Baustoffen und Baumaterial aus Recycling- bzw. wiederverwendeten Produkten – am besten am konkreten Beispiel zu erklären, alle zum zweiten passend: meist werden alte Autoreifen oder Flaschen oder Aluminiumdosen verwendet;
(3) Erreichen eines möglichst hohen Standes an autarkem
Wohnen (dezentrale Wasser-, Energie-, Abwasser-, Lebensmittel- usw.
Versorgung) – das bedeutet vor allem: so weit wie möglich keine
Abhängigkeit von Konzernen über Preise.
Der Bau wird beispielhaft so beschrieben**:
„Die gebrauchten Autoreifen werden mit Erde gefüllt, die gestampft wird, sodass sie eine sehr feste Masse formt. Wurde die erste Schicht Reifen gelegt, werden die folgenden Schichten wie Backsteine darauf aufgestapelt. In den nassen Lehm (Adobe) zwischen den Reifen werden manchmal gebrauchte Aluminiumdosen oder Glasscherben gedrückt, wodurch der Adobe noch stabiler wird. Der Zwischenraum zwischen den Reifen kann auch mit Mörtel aufgefüllt werden, was für die Festigkeit jedoch nicht viel ausmacht.
Nachdem die Reifen gelegt wurden, werden die Querbalken für das Dach angebracht.
Auch die Konstruktion der bepflanzten Becken kann beginnen, mit einem gläsernen Vorgiebel davor. Der gläserne Vorgiebel ist einer der wichtigsten Aspekte des Earthships, weil er für das ideale Klima für die Pflanzen sorgt, die das Wasser reinigen sollen. Das Licht, das durch diese gläserne Wand scheint, spielt auch eine wichtige Rolle bei der Heizung des Hauses. Die Bewohner können zwischen schrägen und vertikalen Glasflächen wählen. Der Grad der Schräge der Fenster hängt von dem Breitengrad ab, auf dem sich das Earthship befindet. An Orten, an denen die Sonne im Winter sehr niedrig steht, kann man etwas schrägere Fenster einsetzen. So kann die Sonne tiefer in das Earthship durchdringen.
Die Autoreifenwände werden inzwischen auch verarbeitet. Dies geschieht mit einigen Lehmlagen, mit denen alle Hohlräume ausgefüllt werden und eine gleichmäßige Wand entsteht.
Die nicht tragenden Wände bestehen aus leeren Blechdosen und Mörtel. Nach jeder Schicht Mörtel wird eine Schicht Blechdosen angebracht. Die Seite mit den Öffnungen der Blechdosen wird so viel wie möglich zur Außenseite gekehrt, sodass der Adobe sich einfacher damit verbinden kann. Andere Wände werden dann wieder mit leeren Flaschen in derselben Weise konstruiert; diese Wände werden dann meist nicht verputzt, sondern sorgen für schöne Lichteffekte.
Das Dach schließlich wird mit EPDM (Ethylene Propylene Diene Monomer, auch Ethylen-Propylen-Kautschuk genannt) gedeckt, da dies keine schädlichen Stoffe abgibt und alle technischen Systeme installiert werden können. Innen kann man dann mit der Einrichtung und Verarbeitung der Wände und Fußböden beginnen.“
In den Diskussionen wird immer wieder (sinngemäß) die Frage gestellt: Warum sollte ich im Abfall leben? Wieso gerade Autoreifen? Z. B. auch auf der österreichischen Netzseite. Es scheinen massive psychische Probleme dahinterzustehen, erst einmal läuft jedem, der sich damit befasst, ein „Schauer über den Rücken“. Auszüge aus den Antworten***:
„Ich verstehe gut, wie ein gelernter Normalverbraucher in der Wegwerfgesellschaft, in der wir nun einmal leben, auf diese Fragen kommt, habe ich sie beim Kennenlernen der Earthships doch auch gestellt.
Leben
im Abfall:
Was Abfall ist, ist eine Frage der Definition. Natürlich macht es
keinen Spaß mit einem Haufen ungewaschenem Geschirr, in dem die
Schimmelpilze wuchern, zu leben. Aber alte Autoreifen, die noch dazu
komplett in die Wand eingebaut und verputzt werden, sind da doch
etwas anderes. Für alte Dosen gilt das gleiche und mit alten
Flaschen kann man sogar wunderschöne optische Effekte erzielen.
Vieles, was wir heute so selbstverständlich wegwerfen, kann
nicht oder nur mit großem Aufwand entsorgt oder recykliert werden.
In der Natur gibt es keine sog. Problemstoffe, für die es keine
Verarbeitungsmöglichkeit gibt. Nur der Mensch hat das Talent ständig
neue Stoffe zu entwickeln, die für einen oder vielleicht ein paar
Zwecke perfekt geeignet sind. Haben sie diesen Zweck erfüllt, dann
legt man sie auf Halde oder macht sich Gedanken, was nun mit den
unbrauchbaren Dingen aus diesen Stoffen gemacht werden soll. Diese
Stoffe binden nicht nur Ressourcen, sie sind vielmehr die 'Rohstoffe
des 21. Jahrhunderts', die wir verwenden wollen, weil es sie ohnehin
schon gibt. ...
Ein Autoreifen, ohne hohen technischen Verarbeitungsgrad in der Wand meines Hauses, soll ... weniger akzeptabel sein (als ein Recycling-Produkt, das nach starker Verarbeitung entstanden ist, z.B. Baumatten aus Reifenmaterial)? Argumente?“ Die Kurzfassung: „Wie vieles, was wir auf die Erde werfen, wird, wenn’s ein andrer aufhebt, ein Juwel.“
© Text Helge Mücke, mit Zitaten aus verschiedenen Quellen im Internet:
Dieser Text mit den Bildern wurde zuerst in der einfachen Printausgabe "Zeitung Neue Arbeit" Nr. 3 / Okt. 2008 in der Rubrik "Denkanstöße, Entwürfe, Ideen" veröffentlicht.
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