Egoismus, Konkurrenz und Gier sind die Leitsterne unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems – der sog. freien Marktwirtschaft. In unseren Alltags- und Freundschaftsbeziehungen aber schätzen wir ganz andere, menschliche Werte: Vertrauen, Ehrlichkeit, Respekt, Empathie und Kooperation z.B. Dieser Widerspruch droht uns nach Felbers Meinung tief zu spalten – als Individuen ebenso wie als Gesellschaft. Letztlich wird unser höchster Wert: die Menschenwürde, geschädigt, wenn wir die heute üblichen wirtschaftlichen Gesichtspunkte auf den persönlichen und gesellschaftlichen Bereich übertragen. Die Hoffnung, dass sich das Wohl aller aus dem egoistischen Verhalten der Einzelnen ergibt (vor rund 250 Jahren hatte Adam Smith das in seiner heute noch vielfach anerkannten Wirtschaftstheorie behauptet), hat sich aber nicht erfüllt.
Sind Alternativen möglich? Nein, heißt es selbst bei Fachleuten geradezu reflexhaft. Zur Marktwirtschaft gebe es keine Alternative, das sei ja bekannt, jede Diskussion erübrige sich. Wer das nicht zur Kenntnis nehme, wolle die Gesellschaft in die Armut und ins 19. Jahrhundert oder in den Kommunismus zurückstoßen. Die Marktwirtschaft sei die produktivste Wirtschaftsform, der Wettbewerb sporne die Menschen zu unvergleichlicher Leistung an, Konkurrenzverhalten sei in der Natur des Menschen angelegt. Falsch, sagt Felber, es gebe heute eine Fülle von Studien in verschiedenen Disziplinen, die das Gegenteil beweisen. Konkurrenz motiviert auch (vorwiegend über Angst), das sei nicht zu leugnen, aber Kooperation weitaus stärker, über Anerkennung, Wertschätzung, gelingende Beziehung, gemeinsame Zielsetzung und -erreichung. Nach allen Forschungsergebnissen ist die intrinsische (von innen kommende) Motivation wirksamer als die extrinsische (beispielsweise Wettbewerb).
Die falschen Grundvoraussetzungen der heutigen Wirtschaftsweise erklären auch die heute überall erkennbaren Krisen des Kapitalismus - u.a. Konzentration und Missbrauch von Macht, Nichtbefriedigung von Grundbedürfnissen und Hunger, ökologische Zerstörung, letztlich auch Ausschaltung der Demokratie.
Aus Christian Felbers Sicht gibt es eine Alternative zu Kapitalismus und Planwirtschaft (zu beidem!) - er nennt sie "Gemeinwohlökonomie". Felber schlägt vor, einfach zu beginnen, und das geschieht inzwischen auch vielfach. Unternehmen, die dazu bereit sind, stellen ihre wirtschaftliche Erfolgsmessung von einer Tauschwertmessung (die sich in Geld ausdrückt) auf eine Nutzwertmessung um. Nicht mehr der Gewinn ist Maßstab für den Erfolg der Unternehmen, die sich anschließen - der Gewinn ist nur noch Mittel, nicht Ziel -, sondern der Grad, in dem sie dem Gemeinwohl dienen. Zur Messung dient die Gemeinwohl-Bilanz mit dem Kernstück der Gemeinwohl-Matrix, in der derzeit achtzehn Indikatoren abgefragt und mit Punkten bewertet werden, beispielsweise: Wie sinnvoll sind die Produkte oder Dienstleistungen? Wie human sind die Arbeitsbedingungen? In welchem Maße wird ökologisch produziert? Wie wird mit KundInnen umgegangen? Wie solidarisch verhält sich das Unternehmen mit anderen Unternehmen? Wie werden die Erträge verteilt? Werden Frauen gleich behandelt und bezahlt? Wieweit werden die Entscheidungen demokratisch getroffen? Die Gemeinwohlmatrix wurde von RedakteurInnen erstellt und wird laufend fortgeschrieben, nach demokratischen Entscheidungsprozessen; die neueste Fassung kann unter www.gemeinwohl-oekonomie.org eingesehen werden. Das Punktesystem ist so angelegt, dass im Höchstfall 1000 Punkte erreicht werden können. In Felbers Modell ist vorgesehen, dass Unternehmen mit hoher Gemeinwohl-Punkte-Zahl durch rechtliche Vorteile belohnt werden, zum Beispiel: niedrigeren Mehrwertsteuersatz, günstigere Kredite, Vorrang beim öffentlichen Einkauf und der Auftragsvergabe, direkte Förderungen. Die Kontrolle der Bilanzen übernehmen externe AuditorInnen. Im ersten Jahr 2010 hatten sich bereits 60 Pionier-Unternehmen zur Gemeinwohl-Bilanz bereiterklärt, bis zum Druck des Buches waren es 150.
Mitwirken kann jede/r auf vielfältige Weise: durch Gründung oder Verstärkung eines regionalen "Energiefeldes"; durch Übernahme einer der 15 Rollen im Energiefeld (BeraterIn, AuditorIn, RedakteurIn, BotschafterIn usw.); durch Nachfrage in dem Unternehmen, in dem sie oder er einkauft, ob es eine Gemeinwohl-Bilanz gibt; durch entsprechende Vorschläge im eigenen Unternehmen; durch den Vorschlag an die Wohnsitzgemeinde, eine Gemeinwohl-Gemeinde zu werden beispielsweise.
Ist auf diese Weise ein Anfang gefunden, wird das ausstrahlen und seine Folgen für andere Bereiche haben.
Christian Felber: Gemeinwohlökonomie. Eine demokratische Alternative wächst. Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe. Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien 2010 und 2012. 208 Seiten. 17,90 EUR.
Text: Dr. Helge Mücke, Hannover. Vom selben Referenten erschien in ähnlicher Form eine Buchbesprechung in der Kulturzeitschrift "Die Drei" Februar 2013. Weitere Informationen auf der Netzseite http://www.gemeinwohl-oekonomie.org/
Eigennutz und Gemeinnutz
Wenn man Reichtum als Verfügungsmacht über Personen, Wohlstand hingegen als Verfügungsrecht über Dinge übersetzt, dann wird in einer freien Wettbewerbsordnung der skizzierten Art der Reichtum der Wenigen durch den Wohlstand der Vielen abgelöst werden. Reichtum und Armut, diese beiden ebenso ungleichen wie unzertrennlichen Geschwister, werden dann gleichermaßen der Vergangenheit angehören.
Die Durchführung der vorgeschlagenen Reformen wird eine Wirtschaftsordnung ergeben, die mit vollem Recht als eine Natürliche Wirtschaftsordnung bezeichnet werden kann, natürlich deshalb, weil sie der Natur der Menschen in jeder Beziehung gerecht wird. Diese Natur haben wir als vorwiegend eigennützig kennen gelernt. Heute, unter der Herrschaft der Monopole, widerstreitet die Betätigung des Eigennutzes oft genug dem gemeinen Wohl. Daher die gut gemeinten Ratschläge der Moralisten und Ethiker, den Eigennutz zu bekämpfen. Sie haben nicht begriffen, dass der Eigennutz an und für sich durchaus am Platze ist, und dass es nur einige rein technische Mängel unserer Wirtschaft sind, derentwegen der Eigennutz so häufig zu Ungerechtigkeiten führt. In einer monopolbefreiten Wirtschaft hingegen, in der es nur eine Art des Einkommens, den Lohn, geben wird, laufen Eigennutz und Gemeinnutz dauernd parallel. Je mehr die Einzelnen dann, ihrem Eigennutz gehorchend, arbeiten, umso besser werden sie den Interessen der Allgemeinheit dienen.
Der heutige endlose Widerstreit zwischen Eigennutz und Gemeinnutzen ist eine ganz zwangsläufige Folge des herrschenden Geldstreik- und Bodenmonopols. Eine von diesen beiden Monopolen befreite Wirtschaft entzieht diesem Widerstreit für immer die Grundlage, weil in ihr der Mensch aus Eigennutz stets so handeln wird, wie es das Gemeininteresse erfordert. Die seit Jahrtausenden von Religionsgründern, Religionslehrern, Philosophen, Moralisten usw. aufrecht erhaltene Lehre von der Sündhaftigkeit der menschlichen Natur wegen ihrer Eigennützigkeit findet damit ein für allemal ihr Ende. Es ist keineswegs notwendig, dass wir, diesen Lehren folgend, uns durch Äonen hindurch abmühen, um uns selbst zu überwinden, um eines Tages vielleicht doch noch gemeinnützig zu werden - sondern wir können schon jetzt, heute, in dieser Stunde, die Verbrüderung der bisherigen Widersacher Eigennutz und Gemeinnutz vollziehen. Es ist dazu nicht erforderlich, dass wir den Menschen reformieren, es genügt vielmehr, wenn wir das fehlerhafte Menschenwerk, unser Geldwesen und Bodenrecht, ändern.
http://opium-des-volkes.blogspot.de/2012/12/die-losung-der-sozialen-frage.html
Kommentiert von: Stefan Wehmeier | Mittwoch, 20. Februar 2013 um 18:20 Uhr